Über mich und mein Vorhaben

Das bin ich: Fabienne Ufert, 18 Jahre alt, und drauf und dran nach dem Abi erst einmal etwas von der Welt zu sehen.

Vor ungefähr vier Jahren habe ich mir in den Kopf gesetzt, einmal nach Brasilien zu reisen und dieser Traum soll jetzt endlich wahr werden, nämlich in Form eines Freiwilligendienstes in Porto Alegre.

Mein Wunsch ist es, einen bestmöglichen Eindruck des Landes und der Kultur zu erhalten sowie auch mit meinen Fähigkeiten etwas weiterzugeben.

Ich werde in einer Gastfamilie leben und im Projekt CESMAR arbeiten, eine Ganztagesstätte für Kinder und Jugendliche von drei bis 19 Jahren aus eher sozial schwachen und ärmeren Verhältnissen. Dort werde ich voraussichtlich im Englischunterricht und bei verschiedenen Freizeitaktivitäten tätig sein.

Ziel dieser Einrichtung ist es, Kindern eine möglichst glückliche Kindheit in einem sicheren Umfeld zu gewährleisten sowie sie intellektuell zu fördern.

Die Organisation welche mich entsendet heißt „Icja Freiwilligenaustausch weltweit e.v.“. Sie ist weltweit vernetzt und bietet Jugendlichen und Erwachsenen fast überall die Möglichkeit einen Lern- und Freiwilligendienst anzutreten.

Ich bin mir sicher, dass viele neue Eindrücke auf mich warten werden und da ich diese gerne mit euch teilen würde, würde ich mich freuen wenn ihr mich während des nächsten Jahres hier auf meinem Blog mit begleiten würdet.

Freitag, 1. April 2016

Brasilien und ich

Hallo ihr Lieben.
Dies wird wohl mal ein etwas anderer Blogeintrag werden, denn ich möchte nicht einfach nur berichten, was in meinem Leben hier so passiert, sondern versuchen, auch das ganze Drumherum in Worte zu fassen.
In letzter Zeit habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, wie ich bezüglich meines Freiwilligendienstes und meiner Zeit hier in Brasilien empfinde. Wie nehme ich alle neuen Geschehnisse und Eindrücke eigentlich auf und wie verarbeite und reflektiere ich diese? Auch wenn ich mich oft damit auseinandersetze, ist mir aufgefallen, dass es sehr schwierig für mich ist, meine Empfindungen angemessen zu beschreiben. Eines steht jedoch fest: Vor ungefähr einem Monat hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, voll und ganz in meinem zweiten Leben hier angekommen zu sein. Ich fühle mich tatsächlich richtig zu Hause und der theoretische Gedanke, jetzt schon nach Deutschland zurückzukehren, wäre so gar nicht passend. Und wenn ich meinen letzten Satz gerade so lese, fällt mir auf, dass "zweites Leben" auch nicht ganz korrekt ist. Schließlich ist mein Leben hier mein aktuelles Leben und somit müsste mein vorheriges Leben in Deutschland als mein "zweites Leben" betrachtet werden. Aber auch das fühlt sich nicht so an... Zurück in Deutschland werde ich kaum Zeit verbringen, da ich wenige Wochen nach meiner Rückkehr in die Niederlande zum Studieren gehen werde. Das bedeutet, dass wieder ein ganz neuer Lebensabschnitt anfängt und hier treten die von Verwirrung (hauptsächlich im positiven Sinne) gezeichneten Gefühle auf.
Lasst mich nun aber das Hier und Jetzt fokussieren. Wie gesagt, bin ich voll und ganz hier angekommen. Ich umgebe mich mit netten Menschen, mit denen ich mich wohl fühle, in meiner Gastfamilie werde ich wie selbstverständlich wie das nun dritte Kind behandelt und auch in meinem Projekt fühle ich mich sehr gut aufgehoben. Ich werde genauso wie eine Lehrerin/Erzieherin behandelt, wie alle anderen auch und an die täglichen warmherzigen Begrüßungen der Kids und Jugendlichen habe ich mich nun schon so sehr gewöhnt, dass mich der Gedanke, sie irgendwann verlassen zu müssen, nicht unbedingt glücklich macht. Außerdem werde ich jeden Tag darin bestätigt, wie gut mein Englischunterricht und meine Anwesenheit ankommt, da die Kids und Jugendlichen an meinem Unterricht interessiert sind und somit ein mich glücklich machender Prozess sichtbar wird. Und das nicht nur auf ihrer Seite sondern auch bei mir selbst. Genauso wie sie, lerne ich jeden Tag dazu, höre mir nachdenklich machende Geschichten an und sammle bereichernde Eindrücke. Sobald ich eben merke, dass etwas von dem, was ich im Projekt beisteuere auch hängen bleibt und Freude bereitet, gehe ich wirklich sehr in meiner Arbeit auf und wenn es dann einmal eher schleppender voran geht, spornt mich das eigentlich noch viel mehr an. Ein gutes Beispiel sind die "schwierigeren" Kids, diejenigen, die versuchen, sich mit üblen Beleidigungen, Tritten und Schlägen zu wehren, anstatt mit klärenden Worten und diejenigen, die absolut gar keine Geduld zu haben scheinen und somit die Konzentration der anderen stören. Dann gibt es leider auch noch sehr viele Kids, die gar keine Selbstüberzeugung haben und bei allem, was sie tun, denken, sie würden es falsch machen obwohl dies oft nicht einmal der Fall ist.
Für diese Kids versuche ich mir verstärkt Zeit zu nehmen, schließlich werden sie zu Hause und auch von manchen Erzieher/innen schon oft genug zusammengestaucht (auch häusliche Gewalt ist übrigens sehr präsent) und somit entmutigt. Ich versuche es dann gerne mal mit dem Gegenteil, nämlich sie darin zu bestätigen, dass sie alles schaffen, wenn sie es nur wollen und das ohne ihre Mitmenschen zu beleidigen, zu schlagen, etc.
Durch all diese Einblicke, lerne ich die Lebensumstände, in denen ich selbst aufgewachsenen bin, sehr zu schätzen, etwas, was vielen Freiwilligen passiert. Damit möchte ich aber keinesfalls sagen, dass in Deutschland alles super ist und hier einem die Menschen nur leid tun können. Das entspricht nämlich nicht der Wahrheit. In jedem Land, gibt es sowohl positive als auch negative Aspekte zu betrachten. Solange man aber nur in dem Land bleibt, in dem man selbst aufgewachsen ist und den Kopf nicht über den eigenen Tellerrand hinausstreckt, hat man keinen Vergleich und somit Schwierigkeiten zu reflektieren. Reine Vorstellungskraft ist ja lobenswert, reicht aber oft einfach nicht aus. Dafür braucht man dann doch einmal die andersartige und vor allem reale Erfahrung. So ging es jedenfalls mir.
Ich lerne die Lebensumstände, in denen ich aufgewachsen bin also zu schätzen und merke gleichzeitig, dass es auch andere kulturelle Aspekte gibt, die mir in Deutschland einfach fehlen.
Grundsätzlich ist Brasilien (bezüglich der Teile des Landes, die ich schon kennengelernt habe) für mich sehr oft sehr widersprüchlich. Die Spanne zwischen arm und reich, unglaubliche Gastfreundschaft auf der einen Seite und Unhöflichkeiten und Egoismus auf der anderen Seite (hier geht es nicht ausschließlich um das Verhalten gegenüber Ausländern wie mir, sondern um generelle Verhaltensmuster), gute Absichten, aber fehlenden Effizienz, die Unzufriedenheit im Volk gegenüber der Regierung oder staatlichen Regelungen, aber gleichzeitig werden schlechte Verlaufsformen schlussendlich doch einfach hingenommen, da man es ja schon gewohnt ist. Die Liste ist lang.
Es gibt einige Leute, wie meine Gastfamilie, die ernsthaft an einem kulturellen Austausch interessiert sind und auch in der Lage sind, ihr eigenes Land zu reflektieren, wissen, was sie gut finden und was nicht. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Leute, die einen erstmal super interessant finden, weil man aus einem anderen Land kommt, aber nachdem alle Fragen beantwortet sind, ist die Neugier genauso schnell wieder verflogen, wie sie gekommen ist und der Oberflächlichkeit wird Platz gemacht.
Gute Absichten werden beispielsweise in der Idee sichtbar, möglichst viele Arbeitsplätze für viele Menschen zu schaffen. Es werden also unglaublich viele Menschen eingestellt, diese aber überhaupt nicht geschult, was wiederum überhaupt nicht effizient ist und die Arbeit dann oft schleppender voran geht als mit wenigeren geschulten Mitarbeitern.
Dies sind einige, eventuell auch banal Beispiele, aber vielleicht kann dies dennoch einen kleinen Eindruck vermitteln. Jeden Tag begegne ich Widersprüchen, die für mich oft einfach nicht verständlich sind.
Jetzt habe ich von einigen Dingen gesprochen, welche nicht so glatt zu laufen scheinen, aber es gibt natürlich auch Einiges positives. Die Offenherzigkeit der meisten Menschen ist mir schonmal unglaublich sympatisch. Natürlich muss man auch hier erstmal mit einer Person warm werden, bis sich eine Beziehung aufbaut, aber überall, wo ich bis jetzt hingekommen bin, habe ich ich direkt aufgenommen und wohl gefühlt und das hat mir auch den Einstieg in mein Leben hier sehr erleichtert und ich konnte mich unglaublich gut einleben.
Was mich ebenfalls sehr beeindruckt hat, ist, wie alle Mitarbeiter in meinem Projekt in ihrer Arbeit aufgehen, um den Kids und Jugendlichen das Beste zu ermöglichen. Viele vo ihnen sind auch nicht in den leichtesten Umständen aufgewachsenen und haben es sich zum Ziel gesetzt, den Kids einen besseren Alltag zu gewährleisten. Das Projekt ist sehr gut in der umliegenden Gemeinschaft angesehen und seit diesem Jahr können selbst Rentner einmal die Woche ins CESMAR kommen und dort handwerkliche Workshops belegen oder sportlichen Aktivitäten nachgehen, was ich eine sehr tolle Idee finde.
Auch ich selbst habe mich in den fast acht Monaten hier in mancher Hinsicht ein bisschen verändert. Ich bin ein viel entspannterer Mensch geworden, etwas, was mir persönlich sehr gut getan hat. Die etwas relaxtere Lebenseinstellung der meisten Menschen hier hat mich praktisch dazu gezwungen :D. Auch wenn mir die Menschen manchmal etwas zuuuuu entspannt sind, vor allem dann, wenn nichts auf die Reihe gebracht wird.
Außerdem sagt man ja, wenn man eine andere Sprache spricht, nimmt man eine andere Peröhnlichkeit an und ich muss zugeben, dass ich mich tatsächlich etwas anders gebe, während ich Portugiesisch spreche. Ich habe den sogenannten "jeito brasileiro" angenommen. Übersetzt es vielleicht selbst, dieser "jeito" ist ziemlich Komplex und auf die Schnelle fällt mir auch gar keine gute Übersetzung ein.. :D. Ich gehe ziemlich offen und direkt mit diversen Themen um, oft, weil mir gar keine andere Wahl bleibt. Schließlich fehlt mir das umfassende Vokabular, um Dinge beispielsweise besonders hübsch zu beschreiben. Natürlich heißt das nicht, dass ich jedem einfach alles an den Kopf werfe, auf die Ausdrucksweise muss man natürlich trotzdem immer Acht geben.
Trotz vieler Unterschiede, habe ich dieses Land auf eine Art und Weise lieben gelernt und genieße meine Zeit hier in vollen Zügen. Um es zusammenzufassen: Estou muito feliz!
Até mais gente :)

P.s. Es folgen bald auch wieder einige Bilder